Genetische Koppelungen bei Tauben – ein oft
missverstandener Erbmechanismus
Wenn zwei Erbfaktoren gemeinsam auf einem
Chromosom liegen, dann müssten sie in späteren Generationen doch
gemeinsam wieder ‚gekoppelt‘ auftreten? Das sagt doch das Wort
Koppelung! Oder doch nicht?
Dass die Farbgene auf dem Geschlechtschromosom
liegen, kann jeder Züchter leicht nachvollziehen. Der Täuber besitzt
geschlechtsbedingt zwei Chromosomen, das Weibchen nur eines. Die
Töchter erben ihr Chromosom vom Vater, die Söhne jeweils eines vom
Vater und eines von der Mutter. Ein blauer Täuber (genetisch
schwarze Grundfarbe) mit einer rotfahlen Täubin (aschrote oder
dominant rote Grundfarbe) bringt damit mischerbige rotfahle Täuber
und blaue Täubinnen.
Auch der Verdünnungsfaktor liegt auf dem
Geschlechtschromosom. Ein dominant gelber Täuber (reinerbig
verdünnt) wird mit einer dominant roten Täubin mischerbig rote
Täuber und gelbe Weibchen bringen.
Bei der dritten Versuchsanordnung sind sowohl
Farbe als auch Verdünnung betroffen. Die Verpaarung einer
reinerbigen Täubers mit schwarzer Grundfarbe (ohne
Verdünnungsfaktor) mit einer gelben Täubin (Dominant Rot +
Verdünnungsfaktor) wird spalterbige rote Jungtäuber und schwarze
Jungweibchen ergeben.
In der vierten Versuchsanordnung wird dieser
spalterbige Jungtäuber an eine gelbe Täubin gepaart. Aufgrund der
geschlechtsgebundenen Vererbung wissen wir, dass alle Jungen mit
einer schwarzen Grundfarbe Täubinnen sind. Dazu braucht man keine
molekulargenetische Analyse oder spätere Beobachtungen des
Verhaltens. Sie sind in der Tabelle 28 des Buches ‚Taubenzucht‘ als
Gruppe ausgewiesen und für den Zweck dieses Beitrages gelb markiert.
Von den 17 schwarzen Weibchen waren acht Verdünntfarbene. Das Gen
Schwarz ist damit in acht Fällen vom Wild-Typ am Genort für die
Verdünnung getrennt und mit dem Verdünnungsfaktor verbunden worden.
Quelle: Taubenzucht 2019
Verdünnung und Farb-Gen liegen auf dem
Chromosom offenbar so weit auseinander, dass es im
Vererbungsgeschehen zu einem Bruch und zu einer neuen Kombination
der Gene gekommen ist. Acht von 17 macht einen Koppelungsbruch und
eine Neukombination bei den schwarzen Weibchen von 47% aus.
Quelle: Taubenzucht 2019
Für die Bestimmung der Crossover-Rate auch für
rote und gelbe Täubinnen und auch für die Täuber müsste das
Geschlecht der Tiere durch molekulargenetische Untersuchungen oder
Verhaltensanalysen bestimmt werden, worauf bei dieser didaktischen
Demonstration verzichtet wird. Auch ohne diese Erweiterung wird das
Ergebnis der fast genau 100 Jahre zurückliegenden Untersuchung von
Cole und Kelley (1919) bestätigt. Sie stellten eine relative große
Distanz fest und kamen auf eine Crossover-Rate von etwa 40%.
In der letzten Versuchsanordnung und Tabelle 28
sind nicht nur Verdünnung und Farbe erfasst, sondern auch die
Schnabellänge und Halskrause. Wie bei vielen empirischen
Untersuchungen werden auch durch diese Untersuchung einige Fragen
beantwortet, andere aber auch neu aufgeworfen.
Literatur:
Cole, L.J., und F.J. Kelley,
Studies on inheritance in pigeons. III. Descriptions and linkage
relations of two sex-linked characters. Genetics 4, 1919, S.
183-203.
Sell, A., Pigeon Genetics.
Applied Genetics in the Domestic Pigeon, Achim 2012.
Sell, A., Taubenzucht. Möglichkeiten und
Grenzen züchterischer Gestaltung, Achim 2019.
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