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Molekulargenetische Studie von italienischen Haustaubenrassen

D. Bigi (University of Bologna) et al,

'Genetic investigation of  Italian domestic pigeons increases knowledge about the long-bred history of Columba livia (Aves: Columbidae)' 

Italian Journal of  Zoology, 2016, 173-182, Vol. 73, No. 2, http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/11250003.2016.1172121

 

Eine italienische Forschungsgruppe untersucht in der 2016 veröffentlichten Studie  die Verwandtschaftsverhältnisse von acht italienischen und elf weiteren Haustaubenrassen, wobei zwei der Italienischen noch in Untergruppen aufgeteilt wurden (Abb. 1).

Italienische Rassen

Ausländische Rassen

Italienische Mövchen

Birmingham Roller

Italienische Rondone Mövchen

Rostower Tümmler

Italienischen Schönheitsbrieftauben

Wiener Tümmler

Piacentino

Pfautauben

Romagnol

Lockentauben,

Römer

Altholländische Kapuziner

Sotobanco

Englische Carrier

Florentiner

Brieftauben

Triganino Schietto

Modena

Triganino Gazzo

Deutsche Modeneser

 

Französischer Mondain

Abb. 1: In der Studie betrachtete Rassen bzw. Untergruppen

Im Ausland nicht sehr bekannt sind von den italienischen Rassen Piacentino, Romagnol und Sotobanca. Es sind große Nutztauben, für die ein Gewicht von 800 bei Piacentino und 850 g für die anderen beiden Rassen angegeben wird.

Als Indikator für die genetische Ähnlichkeit bzw. Distanz wurden FST-Werte berechnet, die Aussagen über die Häufigkeit von Allelen an den betrachteten Genorten in den Populationen geben. Bei einem Wert von Null ist kein Unterschied erkennbar. Innerhalb des Samples nahmen die Lockentauben mit Distanzen zwischen 0,29 - 0,43 eine Außenseiterrolle ein, was zum Teil daran liegt, dass die ihnen etwas näher stehenden Farbentauben fehlten. Im Durchschnitt berechnete sich eine Distanz der Lockentauben von 0,34 zu den anderen. Die geringsten Distanzen bestanden mit jeweils 0,04 zwischen den beiden Italienischen Mövchengruppen und zwischen den beiden Triganino-Gruppen. Die Distanzen der Triganinio zu den Englischen Modena waren trotz inzwischen bestehender körperlicher Unterschiede mit 0,06 (Schietti) und 0,05 (Gazzi) gering, zu den Deutschen Modenesern mit  0,09 bzw. 0,08 etwas größer.

Abb. 2: Modeneser verschiedener Ausformungen (Quelle: Sell 2009, S. 204), Modena, Modeneser Fliegetaube bei Wriedt 1879, Triganino Gazzi und Deutscher Modeneser Gazzi

Reisebrieftauben wiesen die geringste Distanz zu den aus ihnen erzüchteten Italienischen Schönheitsbrieftauben auf (0,06), danach folgten - nicht überraschend - Birmingham Roller (0,08), denen schon in der Untersuchung von Stringham u.a. (2012) eine große Nähe zu den Reisebrieftauben bescheinigt wurde. Tippler, die von allen Fremdrassen in der Untersuchung von Stringham u.a. die bei weitem geringste Distanz zu den Reisebrieftauben aufwiesen, waren in dieser Stichprobe nicht enthalten. Eine Distanz von 0,08 hatten auch Piacentini.

Als ein Ergebnis der Analyse wird im Abstract herausgestellt, dass sich bestätigt habe, dass die Reisebrieftaube vom Englischen Carrier abstammt. Hier ist schon die implizite Unterstellung, dass seriöse Quellen das behauptet oder nachgewiesen hätten, falsch.

Bei der Auswertung der Matrix der Distanzen zwischen den einzelnen Rassen und der Verdichtung der Informationen zu Clustern und Dendogrammen scheinen sich die Autoren nicht der Begrenztheit und der Tücken der Methoden bewußt zu sein. Bei der Clusteranalye geht es darum, bestimmte Objekte - hier ausgewählte Taubenrassen - so in Untergruppen (Cluster) zusammenzufassen, dass die Rassen innerhalb eines Clusters sich ähnlicher sind als sie es zu denen in einer anderen Gruppe sind. Im Grund versucht, man die Objekte so zu verteilen, dass die Distanz innerhalb einer Gruppe gering und der Abstand zwischen den Gruppen groß ist. Clustering wird als ein entdeckendes 'Data Mining' betrachtet, das kreative Ideen wecken soll. Es gibt nicht eine, sondern mehrere systematische Vorgehensweisen (Algorithmen) zur Erzeugung von Clustern. Damit gibt es auch unterschiedliche Ergebnisse, die einem unterschiedliches sagen können. Bei der Interpretation ist daher Vorsicht, oder eben Kreativität angebracht. Ob zwei Objekte im selben Cluster landen, hängt bei einigen Verfahren nicht nur von der direkt gemessenen Verwandtschaft ab. Es hängt auch davon ab, welche Objekte noch vorhanden, oder eben auch nicht vorhanden sind. Zwei Objekte, die einem Sample mit anderen Objekten im selben Cluster verortet werden, können durch Hinzufügen, Herausnahme oder Auswechseln von Objekten getrennt werden. Es ist nicht nur ein Instrument der Erkenntnisgewinnung, sondern auch der Manipulation des Lesers. In Abhängigkeit von den gewählten Algorithmen und der Zusammensetzung der Gruppe können zwei Objekte, die bilateral betrachtet die geringste Distanz aufweisen, optisch im Dendogramm sogar in weit entfernten Ästen landen. Das ist hier der Fall.

Für die vier Modeneser-Rassen bzw. -Gruppen (Abb. 2), die sehr früh in einem Sample zusammengefaßt werden, ergibt sich ein sehr plausibles Ergebnis. Für die Reisebrieftauben aus verschiedenen Gründen nicht. Racing Homer (RH) und Italienische Schönheitsbrieftaube (IH) werden im Dendogramm (Abb. 5) schnell zusammengefügt. Dabei ist die genetische Distanz beider Rassen zum Englischen Carrier (EC) mit 0,13 und 0,16 deutlich größer als die Distanz des Birmingham Rollers (BR) mit 0,08 und 0,10. Trotzdem werden bei der gewählten Methode die erstgenannten drei Rassen zusammengefaßt und der Birmingham Roller bleibt im Dendogramm weit davon getrennt.

Soweit Fehleingaben bei der Datenaufbereitung ausgeschlossen werden können, wird das am gewählten Clusterverfahren liegen. Anders als in klassischen Clusterverfahren werden dem Ward-Verfahren folgend Cluster nicht nach Ähnlichkeiten gebildet, sondern anhand eines Varianzkriteriums für die Gesamtgruppe (Heller u.a.). Das für diese Studie und andere vergleichbare Studien gewählte Verfahren mag besonders sensibel auf die Zusammensetzung der Samples reagieren und sollte vielleicht generell im Hinblick auf die Aussagekraft hinterfragt werden.

Das Ergebnis soll implizit durch Bestätigungen in der Literatur gestützt werden. Als Referenz für die These der Abstammung der Brieftaube vom Carrier wird die Untersuchung von Stringham u.a. (2012) angeführt (S. 180). Suggeriert wird damit eine im Vergleich zu anderen Taubenrassen geringe Distanz. Die bei Stringham u.a. als Nei's FST-Wert gegebene Distanz von 0,107 zwischen den beiden Rassen relativiert sich aber sehr schnell, wenn man sie mit den Distanzen anderer Rassen in der Studie von Stringham u.a. vergleicht.

Siegerin von Sattledt 604 km 5337 Tauben.JPGCarrier-Ulm-web.jpg 

Abb. 3: Nationalflugsiegerin Sattledt 604 km bei 5337 Tauben. 10 Preise im Jahr 2013 (Bernhard Beumer und Theodor Sandbothe, RV Beckhum, Foto Gerhard Blum; Englischer Carrier auf der VDT-Schau in Ulm 2014.

Birminham-Roller-web.jpgTippler-web.jpgTuerkische Taube web.jpg

Abb. 4: Gescheckte Birmingham-Roller, Tippler und Balg einer Türkischen Taube um 1890 aus dem Braunschweiger Naturhistorischem Museum

Der Abstand des Birmingham-Roller (0,093) war wiederum geringer als der des Carriers, weit geringer war die Distanz des Tipplers zur Reisebrieftaube (0,065). Unterboten wurde diese Distanz nur durch eine verwilderte Haustaubenpopulation in Utah, die sich aus entflogenen Brieftauben gebildet hatte (0,049). Italienische (0,115) und Altdeutsche Mövchen (0,116) waren genetisch nur wenig weiter entfernt als der Englische Carrier. Auch durch Auslassungen von Informationen können Aussagen verfälscht werden.

Abb. 5: Dendogramm der Verwandtschaftsverhältnisse der betrachteten Raubenrassen und Gruppen, Quelle: http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/11250003.2016.1172121

Als weiterer Beleg für die Abstammung der Reisebrieftaube vom Carrier wird Levi (1963) genannt (S. 180, 181). Der Beleg ist falsch und resultiert wahrscheinlich auf flüchtigem Lesen. Die Autoren beziehen sich auf den Englischen Carrier. Den kennt Levi als Carrier mit dem Zusatz 'Exhibition Bird'. Bei der Darstellung der Abstammung der Brieftauben schreibt Levi vom "Eastern Carrier", der u.a. der Stammvater von Dragoon und Horseman, und auch einer der Ahnen des Ausstellungscarriers war. Der Eastern Carrier ist die Taube, die Willughby (1678, S. 181) als Botentaube (carrier)  des Türkischen Reiches zum Überbringen von Nachrichten beschrieben hat. Auf dem Kontinent wurde sie Türkische Taube genannt. Den 'Carrier' als 'Exhibition Bird', den Englischen Carrier, kennt Levi auch. Er wird in der Abbildung 6 als 'toter Ast' im Hinblick auf die Entstehung der Brieftaube eingezeichnet. Levi hat damit nicht behauptet, die Brieftaube stamme vom Englischen Carrier ab, sondern explizit das Gegenteil gezeigt.

 

Abb. 6: Verwandtschaft der Brieftaube nach Levi (1969), S. 85.

Am Rande angemerkt hat Levi nach den molekulargenetisch ermittelten Distanzen in seiner Darstellung der Entstehung der modernen Brieftaube vor allem die Bedeutung langschnäbliger Hochflieger, auf die Tippler und Roller zurückgehen, unterschätzt (vgl. auch Sell 2009, 2014, S. 121f.).

So interessant molekulargenetische Untersuchungen auch sein mögen, so wird das Bild getrübt, wenn durch Unbedachtsamkeit ohnehin bestehende Fehleinschätzungen noch verstärkt werden. Schon der bekannte Ornithologe Tegetmeier hatte sich 1871 (S. 44) über den Namen 'Carrier' mokiert, da man keine Schau besuchen könne, ohne  dass jemand, der von dem Namen getäuscht wurde, von ihnen als den wahren Boten­tauben spreche (Abb. 7).

Abb. 7: Aussagen Tegetmeiers zur Bezeichnung Carrier für den Englischen Carrier (1871, S. 44).

Ein Blick in das Buch von Fulton (1876, S. 268 ff.) könnte auch hilfreich sein, um die Entstehung des modernen Brieftauben zu verstehen und die Dinge gerade zu rücken.

Literatur:

Bigi, D. u.a. (2016), 'Genetic investigation of  Italian domestic pigeons increases knowledge about the long-bred history of Columba livia (Aves: Columbidae)' Italian Journal of  Zoology, 2016, 173-182, Vol. 73, No. 2, http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/11250003.2016.1172121

Fulton, R. (1876), The Illustrated Book of Pigeons. London, Paris, New York and Melbourne.

Heller, Katherine A., und Zoubin Ghahramani, University College London,  http://www.gatsby.ucl.ac.uk/~heller/bhcnew.pdf

Levi, W.M. (1969), The Pigeon, Sumter South Carolina 1941, revised 1957, reprinted with minor changes and additions 1963, reprinted 1969.

Sell, A. (2009), Taubenrassen. Herkunft, Verwandtschaften, Achim.

Sell, A. (2012), Pigeon Genetics, Achim.

Sell, A. (2014), Brieftauben und ihre Verwandten, Achim.

Stringham et al. (2012), Divergence, Convergence, and the Ancestry of Feral Populations in the Do­mestic Rock Pigeons, Currently Biology (2012), doi: 10.1016/j.cub.2011.12.045.

Tegetmeier, W.B. (1871), The homing or carrier Pigeon, London

Willughby, F. (1676), Ornithologia, Libres Tres, Londini.

 

Axel Sell, August 2017