Weisse Tauben, an der Oberfläche kratzen
Erste Erfahrungen mit Dominant Weiß
Weiße Hochflieger mit Perlaugen wurden schon früh als dominant Weiße
eingeordnet. Genetisch sind es keine typischen Schimmel (Grizzle).
Aus der ersten Kreuzung mit blauen und andersfarbigen Tauben erhält
man weiße oder fast weiße Tauben, seltener solche mit stärkeren
farbigen Schattierungen oder Rotstreifer und Gelbstreifer. Die
Erfahrung hatte der Verfasser schon vor mehr als 50 Jahren gemacht,
als er weiße Pommersche Schaukappen mit blauen Danziger Hochfliegern
und Dänischen Tümmlern kreuzte, um neben den weißen Pommerschen
Schaukappen andere Farben zu standardisieren. Pommersche Schaukappen
sind eine Abspaltung vom Danziger Hochflieger. Pommersche Züchter
akzeptierten die 1904 vom Klub der Züchter Danziger Hochflieger
beschlossene Musterbeschreibung nicht, in der schmalere Schwänze und
leichte Augenschirme, die bei vielen Danzigern dieser Zeit
verbreitet waren, als Fehler eingestuft wurden. Sie schafften es
gegen viele Widerstände, zumindest den an der Pommerschen Küste
besonders verbreiteten Farbenschlag Weiß als Pommerschen
schaukappigen Tümmler zur Anerkennung zu bringen. Eine offizielle
Musterbeschreibung wurde 1927 veröffentlicht.
Abb. 1 zeigt den Ausschnitt aus der Darstellung des Zuchtweges mit
ersten Kreuzungen von Weiß mit Farbigen und einer ersten Rückpaarung
der F1 an Farbige. Ein weißer Täuber der Schaukappen mit
einer blauen Danziger Täubin verpaart ergab in der F1
eine weiße Täubin und einen Täuber der F1 mit roter
Schimmelfärbung auf weißem Grund. Beide wurden in der Zucht
eingesetzt. In der Anschlusspaarung 1967 gezeigt die Paarung eines
blauen Dänischen Tümmlers mit der weißen Täubin des ersten Jahres
und rechts daneben ausgewählte Jungtiere. Die hellen Tiere aus der
Paarung waren für das Projekt nicht wichtig. Daher ist nur zufällig
unter den erhaltenen Fotos ein bläulich geschimmelt erscheinendes
Weibchen.
Abb. 1: Ausschnitt aus dem Tableau über den Zuchtweg zu farbigen
Pommerschen Schaukappen.
Quelle:
Sell, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the Domestic Pigeon,
Achim 2012
Was verbirgt das Weiß der Stralsunder?
Die Ausgangspaarung eines Stralsunders an eine fahle
Pommersche Schaukappe und eine nachfolgende erste Rückpaarung an
eine farbige (platinbindige) Schaukappe
Aus der Paarung eines weißen Stralsunders mit einer aschfahlen
Pommerschen Schaukappe stammt ein Rotstreifer auf rötlich
angehauchten weißen Grund. Die Verpaarung dieses Täubers in einer
ersten Rückpaarung an eine bindige Platinfarbene gab auch einige
Informationen über ihn selbst. Neben vollfarbigen Rot- und
Gelbfahlen zog er helle Schimmel- und Streifervarianten (Abb. 2 und
3). Die Grundfarbe war dominant Rot, denn unter der Nachzucht von
mehr 10 Jungtieren gab es keines mit erkennbarer schwarzer
Grundfarbe. Die angedeuteten gelblichen Binden bei zwei
Gelbstreifern und einer Gelbfahlen in Abb. 3 zeigen, dass der Täuber
mischerbig für Verdünnung war, was nach dem Erbgang des
Verdünnungsfaktors damit auch für den Stralsunder Hochflieger der
Ausgangspaarung zutraf.
Abb. 2: Kreuzungen eines Flugstralsunders mit einer aschfahlen
Pommerschen Schaukappe, einem Rotstreifer der F1 und Jungtiere der
ersten Rückpaarung an (eine platinfarbene) Pommersche Schaukappe.
Quelle: Sell, Taubenzucht, Achim 2019.
Abb. 3: Ausgewählte Jungtiere aus der ersten Rückkreuzung an
Vollfarbige, rechts der nachfolgend in der Zucht eingesetzte Täuber
Die zweite Rückpaarung eines Rotstreifers an farbige
(platinfarbene) Pommersche Schaukappen
Der in Abb. 3 rechts gezeigte rotstreifige Täuber wurde in der Folge
an Platinfarbene verpaart. Mit einer Täubin ohne
Farbausbreitungsfaktor gab es neben einer Rotfahlen mit Binden eine
Platinschimmeltäubin, auf die noch eingegangen wird (Abb. 4).
Abb. 4: R2 aus einem Rotstreifer der R1 und einer bindigen
Platinfarbenen
In weiteren Paarungen des Täubers mit Spread Platin (Abb. 5 oben
links) gab es neben Einfarbigen auch Schimmel- und Maservarianten
mit hell absetzenden Kopf, den auch Maser der dunkel- und
hellgemaserten Danziger Hochflieger zeigen.
Abb. 5: Ausgewählte Jungtiere der 2. Rückpaarung eines Rotstreifers
der R1 an platinfarbene Weibchen mit Farbausbreitungsfaktor, oben
links das Elternpaar
Auch ein zweiter Rotstreifer der 1. Rückpaarung zog eine
maserähnliche Jungtäubin (Abb. 6 Mitte), die Mutter ist eine in Abb.
6 im Vordergrund stehende Aschfahle. Daneben zeigte sich in dieser
Paarung, dass der schon aus Abb. 3 an einigen Jungtieren sichtbare
Verdünnungsfaktor über die Generationen in diesem Täuber
weitergetragen wurde. Er zeigt sich in einer verdünnten Aschfahlen
(ganz links) und einer dunfarbigen Täubin (ganz rechts).
Abb. 6: Ein Rotstreifer der ersten Rückpaarung mit einer aschfahlen
Täubin und drei ihrer Jungtiere
Die dritte Rückpaarungsgeneration aus der Verpaarung
einer blaugeschimmelten Täubin mit einem schwarzen Täuber
Das Muster in der Nachzucht mit einfarbigen und schimmel- und
maserähnlichen Jungtieren setzt sich in der Nachzucht der genannten
platingeschimmelten Täubin der R2 bei der Verpaarung an einen
schwarzen Täuber fort (Abb. 7). Platin wurde mehrfach erwähnt. Der
Faktor wurde bei der Erzüchtung der farbigen Schaukappen entdeckt.
Er war wohl unter den damals eingesetzten weißen Schaukappen
versteckt. Ähnlich, wie nach den Berichten von W.F. Hollanders 1938
Indigo bei Kreuzungen von blauen Brieftauben mit weißen Carneau
gefunden wurde (Levi 1969).
Abb. 7: Eine platingeschimmelte Täubin der R2 mit einem schwarzen
Täuber und zwei Jungtieren
Die nach Rückpaarungen auftauchenden schimmel- und maserartigen
Färbungen haben eine große Ähnlichkeit mit Farbenschlägen von
Flugstämmen von Danziger und Memeler Hochfliegern, letztere auch
eine Rasse aus der angrenzenden Region.
Abb. 8: Ausschnitt aus dem Buch Taubenfärbungen, Quelle: Axel und
Jana Sell, Taubenfärbungen, Oertel + Spörer, Reutlingen 2005.
Resumée
Zur Genetik. Es besteht der Wunsch nach einfachen Aussagen, und zu
oft scheut man als Autor lange Ausführungen mit relativierenden
Worten, die ohnehin nur von wenigen verstanden werden. Dennoch,
Dominant Weiß in vollständig weißem Federkleid hat den Charakter
eines Phänotyps und ist nur verständlich aus dem Zusammenwirken
eines wohl maßgebenden dominanten Faktor mit vielen auf dieser Basis
wirkenden modifizierenden Faktoren. Diese sorgen für Unterschiede
innerhalb der Gruppe der ‚Schimmel- und Maserartigen‘. Für einen
grundlegenden Faktor spricht, dass etwa 50% der bei Rückpaarungen
auftretenden Varianten dieser Gruppe zuzurechnen sind. Aufgezeigt
werden sollte hier der Variantenreichtum an Färbungen, der unter der
Oberfläche der rein weißen Färbung schlummert. Die Ergebnisse sind
dennoch in mancher Hinsicht exemplarisch: Die Wirkung von
Erbfaktoren hängt wesentlich vom Fehlen oder Vorhandensein
modifizierender Faktoren ab. Für ein tieferes Verständnis komplexer
Zusammenhänge genügt nicht das Wissen um Dominanz und Rezessivität
allein, dazu kommen sollte eine Offenheit für epistatische und
andere kombinatorische Effekte.
AS
Literatur:
Levi, W. M., The Pigeon, Sumter, 1969 edition.
Sell, Axel und Jana, Taubenfärbungen.
Colourations in the Domestic Pigeon, Reutlingen 2005.
Sell, Axel und Jana, Vererbung bei Tauben, Reutlingen 2004, 2007.
Sell, Axel, Pigeon Genetics. Applied Genetics in the
Domestic Pigeon, Achim 2012.
Sell, Axel, Pommersche Taubenrassen. Pigeon Breeds from Pomerania,
Achim 2010.
Sell, Axel, Taubenzucht. Möglichkeiten und Grenzen züchterischer
Gestaltung, Achim 2019.
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