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Wundertüten und ihre genetische Entschlüsselung

Die Bedeutung von Fallstudien für das Verständnis von Erbvorgängen

Der schwarze Täuber und seine platin-gehämmerte Täubin sind in der Zucht eine ‚Wundertüte‘. Bei neun Jungtieren fünf Farbenschläge! Zufall oder genetisch erklärbar? Dass gerade diese Farbenschläge in der jeweiligen Anzahl gefallen sind, ist Zufall. Dass sie bei der genetischen Veranlagung der Eltern mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit anfallen mussten, ist durch Erbgesetze erklärbar. Man kann sogar Wahrscheinlichkeiten für die nächste Zuchtsaison ableiten.

Wen interessiert das? Manch einer wird sagen, ich kenne die Rasse nicht. Auch die Farbenschläge kommen mir seltsam vor. Wer so denkt, der sollte keine genetischen Texte lesen. Er kann nur enttäuscht werden. Denn es gibt keine spezielle Genetik für eine Rasse, nur eine Anwendung der Genetik auf Rassen und Merkmale. Pädagogen sprechen bei Lerninhalten von der exemplarischen Bedeutung. In der Grundschule stellt man die Multiplikationsaufgabe 15 mal 13 nicht, damit die Kinder sich das Ergebnis ihr Leben lang merken. Verstanden und eingeübt wird die Methodik des schriftlichen Multiplizierens und des Kopfrechnens: Methodenkompetenz, nicht das Auswendiglernen von Ergebnissen!

Hier ist es ähnlich. Am Beispiel des Zuchtpaares können Interessierte ihr Wissen über die Punnettschen Quadrate aktivieren. Sie können die Erbgänge für die relevanten Erbfaktoren nachvollziehen. Die aus jeweiligen Quadraten zusammengesetzte ‚Genetiktreppe‘ bietet einen Rahmen für ein systematisches ‚Abarbeiten‘ der einzelnen Schritte. Sie führt zusammenfassend zur Beantwortung der Frage, welche Farbenschläge aus einer Paarung mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Im Planungsstadium stellt sie den Rahmen für eine systematische Zuchtplanung dar. Sei es, um bei der Zucht mit mehreren Farbenschlägen durch gelegentliche Kreuzungen eine zu enge Inzucht zu vermeiden, sei es, um Zuchtfortschritte von anderen Farbenschlägen oder Rassen zu übertragen.

     

Abb. 1: Platingehämmerte Täubin und schwarzer Täuber

Zur Genetik der Eltern: Der Vater ist mischerbig für den Farbausbreitungsfaktor Spread. Er ist zumindest mischerbig, wahrscheinlich aber reinerbig für die durch Spread überdeckte bindige Zeichnung. Schließlich ist er mischerbig für den rezessiven Erbfaktor Platin. Die Mutter ist reinerbig Platin, mischerbig gehämmert/bindig. Sie hat den Spread-Faktor nicht. Obwohl spät gepaart, bis jetzt (August 2022) neun Jungtiere in fünf Farbenschlägen: drei Blaubindige, drei einfarbige Platin, ein Blaugehämmerter, eine platingehämmerte Täubin und ein Platin Täuber mit Binden.

Zur Didaktik: Das methodische Vorgehen bei der Erklärung der Vielfalt der Nachkommen lässt sich am Bild der aus Punnettschen Quadraten gebildeten ‚Genetiktreppe‘ veranschaulichen. Einzelne ‚Bausteine‘ der jeweiligen Stufe werden mit bekannten Erbgesetzen untersucht. Die Teilergebnisse werden unter Beachtung überdeckender (epistatischer) Effekte und ggf. auch genetischer Koppelungen kombiniert. Schließlich wird das zusammenfassende Ergebnis abgelesen.

Abb.2: An die Paarung angepasste ‚Genetiktreppe‘

Zur Genetik der Nachkommen auf den einzelnen Stufen:  Beginnen wir das ‚Durchschreiten‘ der ‚Treppe‘ an der obersten Stufe. Aus der Paarung sind 50% Junge mit dem dominanten Farbausbreitungsfaktor Spread zu erwarten (S//+), den sie von dem ebenfalls für Spread mischerbigen Vater geerbt haben.  

Auf der mittleren Stufe bei der Analyse der Vererbung von Platin sollten bei einer großen Zahl 50% reinerbig für den rezessiven Faktor Platin (pl//pl) sein. Hier sind es 5 von 9.

Schließlich ist an der unteren Stufe bei den Zeichnungen mit 50% bindigen (+//+) und 50% gehämmerten (C//+) Tieren zu rechnen. Wegen der epistatischen (überdeckenden) Wirkung von Spread über die Zeichnungen ist die Zeichnung eindeutig nur bei Jungtieren ohne Spread zu erkennen. Bei der vorgestellten Paarung sind es 4 Bindige und 2 Gehämmerte. Der geübte Züchter wird bei einem der drei Jungtiere mit dem Spread-Faktor allerdings die begründete Vermutung haben, dass der Farbausbreitungsfaktor die bindige Zeichnung verdeckt.

Es sind noch nicht alle möglichen Farbenschlägen aus der Wundertüte gefallen. Einfarbig Schwarz fehlt noch. Die Wahrscheinlichkeit für Schwarze war ¼. Dafür sind anstelle der zu erwartenden 1/8 Blaubindigen gleich 1/3 gefallen.

Die Genausstattung der gezogenen Jungtiere:

·         Die drei blauen Jungtiere sind mischerbig Platin (+//pl) mit der bindigen Zeichnung und ohne Spread.

·         Die drei einfarbigen Platin sind reinerbig Platin (pl//pl) und mischerbig Spread (+//S).

·         Der Blaugehämmerte ist mischerbig Platin (+//pl), mischerbig gehämmert (C//+) und ohne Spread (+//+).

·         Das platingehämmerte Weibchen ist reinerbig Platin (pl//pl), mischerbig gehämmert (C//+) und ohne Spread.

·         Der bindige Platin-Täuber schließlich ist reinerbig Platin (pl//pl), auch ohne Spread (+//+).

Exemplarische Bedeutung: Die Darstellung kann 1:1 übertragen werden z.B. auf die Verpaarung silberner (Spread Milky) Lahore mit bindigen und gehämmerten Milky sowie mit den Ausgangsfarbenschlägen. Das Wort Platin ist nur durch Milky zu ersetzen. Man kann leicht eine Abwandelung auf den dominanten Faktor Indigo vornehmen und damit auch Andalusier einbeziehen. Es lassen sich auch leicht geschlechtsgebundene Faktoren wie Stipper, Reduced und Rubella durch Anpassung der Quadrate integrieren.  Erkennen sollte man vor allem, wie einfach sich zunächst erstaunliche Zuchtergebnisse bei strukturiertem Vorgehen selbst erklären. Der eigentliche Nutzen der systematischen Analyse liegt allerdings nicht in einer Erklärung der Vergangenheit, sondern in der Umsetzung der gewonnenen Kompetenz für die Zuchtplanung.

 

 

Fig. 3: Blaubindige Jungtiere

 

Abb. 4 Platin mit Farbausbreitungsfaktor (Weibchen)

 

Blaugehämmert, Platingehämmert und Platin mit Binden

Schlussbemerkungen:

Das hier auf das aktuelle Zuchtgeschehen im Schlag des Verfassers bezogene didaktische Konzept hat sich vielfach als hilfreich erwiesen. Es war als Leitmotiv schon auf dem Cover der ersten Broschüre über Taubengenetik als treppenförmige Aufeinanderfolge von Punnettschen Quadraten bildlich dem Text vorangestellt. Es findet sich aktuell auch auf den Covers der auf Französisch, Niederländisch und Englisch erschienen Einführungen in die Taubengenetik. Eine Chance, sich auf spielerische Weise mit Beispielen und Übungen mit der Umsetzung der Vererbungsregeln in die Praxis vertraut zu machen.